Beim Sozialraum-Treffen „Mach mit Münden!“ kamen rund 120 Teilnehmende zusammen, um sich zum Thema psychische Gesundheit auszutauschen und Ideen für den Sozialraum zu entwickeln. In fünf Workshops wurden konkrete Anregungen für zukünftige Unterstützungsangebote erarbeitet. Zudem wurde die neue Beratungsbroschüre „Kopf voll, Herz schwer – hier gibt’s Hilfe“ vorgestellt, die alle Hilfsangebote in Hann. Münden bündelt und fortlaufend aktualisiert wird. Im Anschluss folgt ein Interview mit Stephanie Heck-Weidemeier, Leitung Haus der Nationen.
Die diesjährige Konferenz stand unter dem Schwerpunkt psychische Gesundheit. Welche konkreten Bedarfe oder Problemlagen wurden besonders deutlich?
Stephanie Heck-Weidemeier: In den Workshops wurde schnell deutlich, dass es in Hann. Münden zwar viele engagierte Angebote gibt, diese aber nicht alle Menschen erreichen. Das sind erste Eindrücke, die ausführliche Auswertung folgt noch. Viele Teilnehmende beschrieben, dass gerade Menschen mit psychischen Belastungen Hemmungen haben, Unterstützung in Anspruch zu nehmen, weil sie nicht wissen, wo sie anfangen sollen oder sich unsicher fühlen, überhaupt eine Einrichtung anzusprechen. Ein großes Thema, das sich durch alle vier bisherigen Sozialraumtreffen zieht, ist die Erreichbarkeit, sowohl im Sinne von Information als auch im ganz praktischen Sinne. Viele Menschen sind digital kaum angebunden, nutzen keine Apps oder sozialen Medien und haben auch keinen regelmäßigen Zugang zu Printmedien. Dazu kommen eingeschränkte Busverbindungen, die es für Menschen aus den Ortschaften schwer machen, Angebote überhaupt zu erreichen.
Und ein Punkt, der ebenfalls deutlich wurde, ist die große Knappheit an Therapieplätzen. Selbst wenn Menschen bereit sind, Hilfe anzunehmen, stoßen sie oft auf sehr lange Wartezeiten. Das verstärkt das Gefühl, „alleine dazustehen“, und erschwert den Zugang zusätzlich. Das Hilfesystem wird als Dschungel erlebt. Gefragt sind Lotsen mit Durchblick. Diese ersten Rückmeldungen zeigen, dass es weniger um neue Angebote geht, sondern vielmehr um Wege, Orientierung und Strukturen, die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Die detaillierte Auswertung der Workshop-Ergebnisse folgt in den nächsten Wochen.
Mit der neuen Beratungsbroschüre haben Sie ein zentrales Hilfsmittel vorgestellt. Welche Lücken im bisherigen Unterstützungssystem möchten Sie damit schließen und wie stellen Sie sicher, dass Betroffene die Angebote auch tatsächlich erreichen?
Stephanie Heck-Weidemeier: Viele Menschen wissen zwar, dass es Beratungsstellen gibt, fühlen sich aber unsicher, wo sie anfangen sollen. Die Lücke liegt also weniger im Angebot selbst, sondern in der Orientierung und im Mut, den ersten Schritt zu gehen. Mit der Broschüre wollen wir diesen Einstieg erleichtern. Sie bündelt die wichtigsten Anlaufstellen auf einen Blick und erklärt kurz, wer wofür da ist. Wichtig ist uns dabei auch, dass die Broschüre kein abgeschlossenes Produkt ist: Sie wird fortlaufend ergänzt und wächst mit jedem Hinweis, den wir aus der Praxis und von Bürgerinnen und Bürgern bekommen. Eine Garantie auf Vollständigkeit können wir deshalb bewusst nicht geben.
Damit Betroffene die Angebote tatsächlich erreichen, verteilen wir die Broschüre an Orten, die im Alltag häufig genutzt werden: im Mehrgenerationenhaus, im Familienzentrum, im Haus der Nationen, Stadtverwaltung, in Beratungsstellen, Praxen und Treffpunkten. Sie wird außerdem aktiv in Gesprächen eingesetzt und ist digital abrufbar, sodass sie von Einrichtungen und Multiplikatorinnen jederzeit weitergegeben werden kann.
Welche Bedeutung hat das „Haus der Nationen“ aus Ihrer Sicht für den sozialen Zusammenhalt in Hann. Münden und wie beeinflusst er die Arbeit im Bereich psychische Gesundheit?
Stephanie Heck-Weidemeier: Das Haus der Nationen ist nicht nur eine Wohnanlage für geflüchtete Menschen, sondern seit vielen Jahren ein wichtiger sozialer Ankerpunkt in Hann. Münden. Aus der früheren Gemeinwesenarbeit ist unter anderem unsere „Plauderstube“ entstanden, ein offener und kostenfreier Begegnungsort für alle Generationen. Dort finden regelmäßig Formate wie Plauderfrühstück, Tanzangebote, kleine kulturelle Aktionen sowie Beratungs- und Unterstützungsangebote statt. Dazu gehören unter anderem Bürgergeldberatung, Schuldnerberatung, ein Repariertreff, Digitallotsen sowie verschiedene Gruppenangebote, die sich inzwischen fest etabliert haben. Durch diese Mischung aus Begegnung, Alltagshilfe und gemeinsamen Aktivitäten entsteht ganz automatisch ein Raum, der Integration fördert – nicht als Programm, sondern durch echtes Miteinander im Alltag.
Aus der letzten Sozialraumkonferenz ist der Wunsch nach Selbsthilfeformaten besonders deutlich geworden. Darauf haben wir reagiert. Mittlerweile gibt es eine offene Selbsthilfegruppe Depression, aus der sich bereits eine autarke, selbstorganisierte Gruppe gebildet hat. Weitere Angebote wie „Gefühlen Farbe geben“ sind ebenfalls entstanden, teilweise in Zusammenarbeit mit Fachkräften aus dem Kunst- und Gesundheitsbereich. Unsere Aufgabe sehen wir darin, Menschen zu begleiten, sie zu vernetzen und Räume zu schaffen, in denen eigene Initiativen wachsen können. Viele Gruppen entwickeln sich inzwischen selbstständig weiter, genau das stärkt den sozialen Zusammenhalt vor Ort und zeigt, wie lebendig der Sozialraum werden kann, wenn Menschen Räume und Impulse bekommen.